Der Jakobsweg – 535 Kilometer von Burgos nach Santiago

2007 machte ich mich gemeinsam mit meinem Bruder auf den Jakobsweg – inspiriert durch Hape Kerkelings Bestseller „Ich bin dann mal weg“. Was als sportliche Herausforderung begann, wurde zu einem unvergesslichen Abenteuer voller Begegnungen, Schmerzen, kleiner Wunder und großer Erkenntnisse.

Im Herbst 2006 fiel mir Hape Kerkelings Bestseller „Ich bin dann mal weg“ in die Hände. Schon nach den ersten Kapiteln packte mich das Pilgerfieber. Am liebsten wäre ich sofort aufgebrochen. Doch so spontan war das nicht möglich. Also fragte ich meinen Bruder, ob er sich vorstellen könne, im kommenden Jahr mit mir gemeinsam den Jakobsweg zu gehen. Er las das Buch, war ebenfalls begeistert und holte sich wie ich das Einverständnis seiner Frau. Damit stand unser neues Abenteuer fest.

Wir planten akribisch. Drei Wochen Urlaub hatte ich zur Verfügung, davon 17 Tage für die Pilgertour. Von Saint-Jean-Pied-de-Port bis Santiago de Compostela wären es rund 800 Kilometer gewesen – in 17 Tagen schlicht nicht zu schaffen. Also entschieden wir uns für den Einstieg in Burgos. Immerhin blieben uns so noch 535 Kilometer bis Santiago. 35 Kilometern pro Tag sollten zu schaffen sein, da waren wir optimistisch. Uns blieben sogar 2 Tage Puffer. Die Rückreise sollte per Flugzeug erfolgen, die Hinreise mit dem Fernbus – eine Entscheidung, die wir später bereuten.

Vorbereitung in der Heimat

Um uns vorzubereiten, marschierten wir im Ederbergland Touren bis zu 45 Kilometern – immer mit schwerem Rucksack. Meiner wog anfangs über 20 Kilo, teilweise beschwerte ich ihn noch zusätzlich mit Gewichten. Schon auf den ersten langen Märschen rund um den Edersee merkte ich, dass besonders meine Füße an ihre Grenzen kamen. Doch ich dachte mir: „Die gewöhnen sich schon daran, wenn wir erst mal unterwegs sind.“

Anreise im Bus – eine Tortur

Die Busfahrt von Frankfurt nach Burgos geriet zur Strapaze. Eng, stickig, Toiletten außer Betrieb – und jeder Halt viel zu kurz. Nach 24 Stunden stiegen wir völlig ausgelaugt, aber voller Vorfreude aus.

Der Weg beginnt

Obwohl wir erst mittags ankamen, liefen wir gleich die erste Etappe mit über 30 Kilometern in der spanischen Hitze. Schon da spürte ich, dass mein Rucksack zu schwer und meine Füße mein wunder Punkt sein würden. Zum Glück war die Infrastruktur des Camino hervorragend: alle paar Kilometer ein Dorf, eine Bar, eine Herberge.

So reihten sich die Tage aneinander. Meist liefen wir allein, manchmal ein Stück mit anderen Pilgern. Manche Begegnungen verblassten schnell, andere brannten sich ein. Ein Ehepaar trafen wir so oft an den unwahrscheinlichsten Orten, dass es uns fast unheimlich vorkam.

Unterschiedliche Menschen, unterschiedliche Beweggründe

Der Camino brachte die verschiedensten Charaktere zusammen. Manche liefen allein, andere zu zweit, oft als Paar. Viele waren ganz normale Wanderer wie wir – mit Rucksack, Blasenpflastern und müden Beinen. Andere wirkten esoterisch verklärt, drängten einem ihre Ansichten auf oder erzählten von spirituellen Eingebungen.

Mein Bruder und ich nahmen die Tour eher sportlich. Kirchen oder Kathedralen ließen wir links liegen. Einmal sprach uns sogar jemand an: „Mit Kirchen und Religion habt ihr es wohl nicht so.“ Damit hatte er nicht Unrecht. Ich glaube nicht daran, dass eine Pilgertour Probleme im Alltag – in Ehe, Familie oder Beruf – einfach in Luft auflöst. Der Jakobsweg kann Zeit zum Nachdenken schenken, aber handeln muss man zu Hause selbst. Genau solche Menschen trafen wir aber immer wieder: Pilger, die bewusst vor ihren Schwierigkeiten flohen und hofften, nach Santiago würde alles wie durch ein Wunder besser.

Schmerzen und Blasen

Für mich war jeder Tag ein Kampf mit meinen Füßen. Nach 20 Kilometern begannen die Schmerzen, der Rest wurde zur Qual. Alle fünf Kilometer hielten wir an, damit ich massieren und cremen konnte. Besonders schlimm war die Etappe nach Calzadilla de la Cueca: 43 Kilometer in der Hitze, am Ende unerträgliche Schmerzen – selbst im Liegen. Blasen kamen hinzu, doch ich biss mich durch.

Um mich abzulenken, griff ich manchmal zu den Kopfhörern. Während meine Füße brannten, hörte ich Opern mit Maria Callas. Ihre Stimme half mir, den Schmerz auszuhalten und den Rhythmus der Schritte beizubehalten.

Mit der Zeit reduzierte ich das Gewicht meines Rucksacks um fünf Kilo. Das half ein wenig, doch die Qualen blieben mein ständiger Begleiter.

Licht und Schatten

Die Landschaft wechselte zwischen traumhaften Abschnitten und eintönigen Kilometern entlang von Straßen.

Auch die Unterkünfte reichten von himmlisch bis höllisch. Am „Abzweig Cozo“ landeten wir in einer Absteige mit rostigen Betten, verdreckten Matratzen und Toiletten, die man kaum betreten konnte.

Ein anderes Mal hingegen fanden wir nach einem kurzen Tag eine Herberge, die frisch renoviert war. Wir waren die einzigen Gäste und wurden wie Fürsten bewirtet.

Dazwischen erlebten wir die typischen Pilgerherbergen, Massenquartiere mit 80 Leuten in einem Raum – begleitet von Schnarchen, Furzen und allerlei anderen Geräuschen.

Ankunft in Santiago

Nach 15 Tagen erreichten wir tatsächlich Santiago – zwei Tage früher als geplant. Die letzten Kilometer waren ein einziger Massenmarsch, weil die letzten 100 Kilometer ausreichen, um die begehrte Urkunde zu erhalten. Die zusätzlichen Tage nutzten wir, um in einem Hotel auszuspannen und die Stadt zu erkunden. Ein früherer Rückflug war leider nicht möglich.

Am Flughafen stand ich in der Schlange und musste – wie schon in „Calzadilla de la Cueca“ unter der Dusche – ständig das Gewicht von einem Bein aufs andere verlagern, so stark schmerzten meine Füße noch.

Nachwirkungen

Zurück in Frankenberg ließ ich mir Einlagen anfertigen. Mit ihnen konnte ich fortan bis zu 30 Kilometer schmerzfrei wandern – ein enormer Fortschritt. Der Jakobsweg blieb für mich ein prägendes Erlebnis. Trotz aller Strapazen würde ich ihn jederzeit wieder gehen. Er hat mir gezeigt, wie viel man mit Willen und Durchhaltevermögen erreichen kann – auch wenn jeder Schritt schmerzt.



Michael aka Imi

🏃‍♂️ Michael aka Imi

Leidenschaftlicher Läufer, Radfahrer und Kraftsportler aus Frankenberg an der Eder.
Immer auf der Suche nach neuen sportlichen Herausforderungen – und mit Freude dabei, Erinnerungen zu bewahren und zu teilen.

📌 Serie „Meine sportliche Vita“ – Dieser Beitrag ist Teil einer fortlaufenden Rückblickreihe.
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