Auf den Spuren des Eisernen Vorhangs: Rennsteig trifft Grenzweg – Landschaft, Geschichte und 1.400 Kilometer im Sattel.
21. Juli bis 31. Juli 2017 – 1.395 km | 13.130 Höhenmeter | 11 Etappen
Eigentlich wollte ich „nur“ den Deutsch-Deutschen Radweg fahren – von Süd nach Nord, entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Doch schon die Planung brachte eine entscheidende Wendung: Die umständliche Bahnanreise nach Hof ließ mich umdenken. Also startete ich einfach direkt von zu Hause – mit dem Rennsteig als sportlichem Auftakt. Was folgte, war eine Radreise zwischen Geschichte, Natur und persönlicher Herausforderung.



🚴 Etappe 1: Frankenberg (Eder) – Eisenach
Distanz: 156 km
Höhenmeter: 1.483 Hm
Zeit: 7:25 h

Um 6:39 Uhr verabschiede ich mich von meiner Liebsten. 110 kg stehen am Start: 33 kg wiegt mein voll bepacktes Sequoia, die restlichen 77 kg bringe ich selbst auf die Waage. Das Wetter ist perfekt – trocken, sonnig, nicht zu warm. So richtig kann ich es noch nicht glauben, dass ich in den nächsten zehn Tagen allein mit dem Rad unterwegs sein werde. Aber ich freue mich drauf!
Die ersten 38 km bis zum Edersee sind Heimrevier. Danach beginnt radfahrerisches Neuland. Das Streckenprofil ist heute noch vergleichsweise einfach: ein paar längere Anstiege, wenige steile Rampen (eine ausgenommen). Mit dem 33 kg-Stahlross ist das gut machbar. Der Rest ist flach – das Gepäck kaum spürbar. Aber das wird sich ab morgen ändern. Der Rennsteig lässt grüßen!
Die Streckenplanung via „brouter“ hat sich bewährt. Start- und Zielpunkt anklicken, Route fertig. Nur ein kurzer Abschnitt auf der B253 zwischen Rhünda und Harle ist gesperrt und aufgerissen. Die Bauarbeiter lassen mich trotzdem passieren – zähneknirschend.
Die Strecke ist zu 95 % asphaltiert. Auch die geschotterten Radwege an Eder und Werra lassen sich mit den 42er Reifen zügig und komfortabel fahren. Schon heute komme ich auf einem kurzen Stück originaler DDR-Grenze ins Nachdenken – ein Kolonnenweg mit fiesen Lochplatten zwischen Untersuhl und Gerstungen. Slalomfahrt für mich, Härtetest fürs Sequoia.
Wenig später rolle ich auf den wunderbar ausgebauten und landschaftlich reizvollen Werratal-Radweg. Ich gönne mir eine Pause, verputze die letzten beiden Stullen von zu Hause. Währenddessen setzt sich jemand zu mir und bewundert mein Rad. Solche Momente mag ich.
Etwa 12 km vor Eisenach sehe ich die Wartburg in der Ferne – ein Foto spare ich mir auf. Ich will eines aus der Nähe. Aber der Track führt mich über einen über 20 % steilen Wanderpfad direkt durch den Wald zur Burg. An Hochfahren ist nicht zu denken. Ich muss schieben – und selbst das ist ein Kraftakt. Kein Wunder, oder selbst schuld bei dem Gewicht!
Oben angekommen, will mich der Parkwächter nicht durchlassen. Ich soll das Rad draußen lassen. Keine Chance! Ich lasse mein voll bepacktes Rad doch nicht unbeaufsichtigt irgendwo stehen. Also rolle ich wieder runter in die Stadt und gönne mir ein Hotel. Im Luther Hotel „Eisenacher Hof“ ist noch ein Einzelzimmer frei – nicht billig, aber mir egal. Ich bin platt. Zehn Euro Rabatt gibt’s obendrauf.
Nach einem üppigen Abendessen und zwei Hefeweizen genieße ich den ersten Urlaubstag. Phantastisch!

🚴 Etappe 2: Eisenach – Neustadt (Rennsteig)
Distanz: 94,7 km
Höhenmeter: 1.993 Hm
Zeit: 6:12 h

Nach einem ausgiebigen Frühstück starte ich erst gegen 9:15 Uhr. Der Himmel ist bedeckt, die Luft angenehm frisch – es ist Regen angesagt. Ich rolle gemütlich aus Eisenach hinaus. Bereits nach wenigen Kilometern entdecke ich ein Schild „Grenzweg“ und folge spontan dem Abzweig. Ich lande auf einem gut fahrbaren Kolonnenweg – mein erster Grenzweg auf dieser Tour. Ich bin ergriffen.
Danach beginnt der Aufstieg zum Rennsteig. Landschaftlich wunderschön, doch schon bald setzt Regen ein – und lässt mich für Stunden nicht mehr los. Ich halte kurz an einem DDR-Grenzstein mit Erklärtafel. Die Stimmung ist düster, aber eindrucksvoll. Ich folge dem Radfernweg R 2 und dann dem Rennsteig-Radweg – lange Zeit auf Schotter, teils auf Waldwegen. Mit meinem Rad ist das zwar fahrbar, aber nicht eben komfortabel. Die Steigungen fordern. Es wird ein zäher Tag.
Kurz vor Ruhla entdecke ich auf einer Anhöhe einen kleinen Rastplatz mit Schutzhütte – mein Mittagsplatz. Ich esse meine Vorräte, wärme mich ein wenig auf. Danach wird’s anstrengender. Die Strecke steigt weiter an, es ist durchgehend nass, das Thermometer zeigt 12–13 °C. Die Laune sinkt kurzzeitig.
Zwischendurch überhole ich ein Ehepaar mit Tandem. Sie nörgeln über das Wetter und das Höhenprofil. Ich will gerade zustimmen, als ich ihre Gesichter sehe – und beschließe: Ich bin lieber still. Jeder leidet für sich.
Die Auffahrt auf den Großen Inselsberg spare ich mir. Ich folge der offiziellen Radroute, die gut ausgeschildert ist und mich direkt nach Neustadt bringt. Die letzten Kilometer ziehen sich, aber schließlich erreiche ich das kleine Hotel „Kammweg“. Ich bin klitschnass, aber das Zimmer ist warm und gemütlich. Nach einer heißen Dusche, einem leckeren Abendessen und zwei Bier ist die Welt wieder in Ordnung.

🚴 Etappe 3: Neustadt (Rennsteig) – Hof (Saale)
Distanz: 120 km
Höhenmeter: 2.177 Hm
Zeit: 6:25 h

Im Gegensatz zum Vortag startet diese Etappe mit einem echten Highlight: einer zehn Kilometer langen, rasanten Abfahrt – perfekter Straßenbelag, über 70 km/h, 350 Höhenmeter in kürzester Zeit vernichtet. Euphorie pur! Doch der Freudentaumel hält nicht lange, denn es folgt der längste und zermürbendste Anstieg der bisherigen Tour: sechs Kilometer bergauf zum Pumpspeicherwerk Goldisthal – mit Steigungen jenseits der 10 %. Mehr als einmal hätte ich mein Gepäck am liebsten in den Straßengraben geworfen. Aber ich beiße mich durch. Immerhin: Quäldich.de hätte seine Freude an diesem Abschnitt.
Die Etappe bleibt auch danach anspruchsvoll – mit weiteren giftigen Anstiegen, aber auch herrlich flüssigen Abfahrten. Zwischendurch welliges Terrain, das sich zügig fahren lässt – insgesamt ein sportlich fordernder, aber abwechslungsreicher Tag. Die Straßen sind in besserem Zustand als gestern, auch wenn einige Ortsdurchfahrten und Abschnitte offiziell gesperrt sind. Mit dem Rad komme ich trotzdem überall durch.
Das Wetter spielt erneut mit: kein Regen, vormittags bewölkt, am Nachmittag sonnig – fast schon zu warm. In Unterkotzau, einem Vorort von Hof, finde ich ein nettes Quartier. Hier endet der sportliche Auftakt über den Rennsteig – morgen beginnt die eigentliche Reise entlang des Eisernen Vorhangs.
Gegen Abend erreiche ich Hof – erschöpft, aber zufrieden. Das Hotel habe ich vorab reserviert. Eine Dusche, ein warmes Abendessen und ein großes Bier später sieht die Welt wieder besser aus. Es war ein harter Tag – aber auch ein besonderer.

🚴 Etappe 4: Hof (Saale) – Bad Steben
Distanz: 60,1 km
Höhenmeter: 1.099 Hm
Zeit: 4:33 h

Nach dem Frühstück mache ich mich bei Sonnenschein auf den Weg zum Dreiländereck – dem offiziellen Startpunkt des Deutsch-Deutschen Radwegs. Der Ort selbst ist verlassen, nur zwei Mitarbeiterinnen des Wasserwirtschaftsamtes sammeln Proben aus dem Bach. Ich bin der Einzige mit Rad. Das Schild mit der Aufschrift „Staatsgrenze“ steht schief und droht beim Anlehnen meines Rads umzukippen – schade, dass so ein geschichtsträchtiger Ort so wenig gepflegt wird.
Ich mache ein paar Fotos und fahre weiter durchs hügelige Vogtland. Die Grenze ist hier oft kaum noch erkennbar, aber der Verlauf ist spürbar. In Mödlareuth – dem berühmten „Little Berlin“ – werde ich emotional. Ich kenne die Bilder, aber live wirkt es anders. Ich lausche einer Reiseführerin, die einer Jugendgruppe erklärt, wie die Grenze funktionierte. Gänsehaut.
Direkt gegenüber liegt eine Gaststätte. Ich gönne mir eine XL-Currywurst mit Pommes und frage die Wirtin, ob sie früher hier gelebt habe. Leider Fehlanzeige – sie ist erst nach der Wende zugezogen. Trotzdem ein intensiver Moment.
Mit vollem Bauch geht’s weiter – hinaus aus diesem auch heute noch geteilten Dorf. Der weitere Verlauf bleibt hügelig, keine langen Anstiege wie am Rennsteig, aber viele steile Rampen. Die Höhenmeter summieren sich.
Am Nachmittag zieht Regen auf. Erst zögerlich, dann heftig. Ich spiele das übliche Spiel: Regenjacke an, wieder aus, wieder an. Als ein Gewitter aufzieht, flüchte ich in eine Gaststätte am Weg. Die Wetter-App verheißt nichts Gutes. Also buche ich spontan ein Hotel in Bad Steben.
Langsam reift die Erkenntnis: Mit der Anreise über den Rennsteig und der realen Belastung werde ich Lübeck nicht in 10 Tagen erreichen – außer ich fahre die letzten 400 km als Brevet. Aber für heute gilt: Kein Leistungsdruck. Morgen ist auch noch ein Tag.

🚴 Etappe 5: Bad Steben – Eisfeld
Distanz: 101,4 km
Höhenmeter: 1.548 Hm
Zeit: 5:24 h

Das schlechte Wetter vom Vortag hat sich festgebissen – es regnet von morgens bis abends, ohne Unterbrechung. Kein Gewitter, zum Glück, aber eben auch kein Lichtblick. Aufzugeben oder eine Hotelpause einzulegen, ist für mich dennoch keine Option. Solange es „nur“ regnet, fahre ich. Meine Regenkleidung hält erstaunlich gut dicht, was meine Laune rettet.
Ich modifiziere die Route leicht und lasse den Track bis Haig links liegen – der offizielle Verlauf ist ohnehin nicht ganz aktuell. Bei Kronach steige ich wieder ein. Ein besonders matschiger Wiesenabschnitt, der angeblich befahrbar sein soll, hätte mich beinahe flachgelegt. Ich beschließe: Die in Bikeline als „schlecht befahrbar“ markierten Stücke werde ich ab jetzt konsequent meiden – auch wenn ich dadurch die ein oder andere Sehenswürdigkeit verpasse.
Die Landschaft bleibt heute im Hintergrund. Bei Dauerregen fährt der Blick nicht weit. Ich mache ein paar Bilder für die Erinnerung – die restlichen hole ich bei Gelegenheit nach. Zwischendurch entdecke ich in einem Waldstück eine besonders schöne Passage alter Kolonnenplatten, durchzogen von Moos. Rutschig, aber eindrucksvoll.
Gegen Ende des Tages stellt sich erneut die Frage: Wie weiter? Zehn Tage bis Lübeck erscheinen unrealistisch – es sei denn, ich ziehe ein Ultra-Brevet durch. Aber warum? Mein Bruder sagte: „Kein Leistungsdruck!“ Recht hat er. Der Eiserne Vorhang läuft nicht weg.
Und eigentlich… am liebsten würde ich Sonntag wieder zu Hause einrollen, direkt aufs Rad, direkt heim – ganz ohne Bahn oder Bus. Und dann abends ein Bier mit Familie und Freunden trinken. Das war doch der ursprüngliche Gedanke dieser Reise, oder?

🚴 Etappe 6: Eisfeld – Bad Königshofen
Distanz: 89,8 km
Höhenmeter: 482 Hm
eit: 4:42 h

Die ersten 60 km rollten trotz Dauerregen erstaunlich gut. Bei leicht welligem Profil konnte ich einen 20er Schnitt halten und war optimistisch, bis zum späten Nachmittag ein ordentliches Stück des Eisernen Vorhangs zu schaffen.
Doch dann kam Rieth. Der Track passte nicht zur Beschilderung, das Wetter wurde schlechter, meine Laune gleich mit. Drei Mal passierte ich diesen kleinen Ort – unfreiwillig. Schuld war die Beschilderung, das Navi, das Wetter – und natürlich ich selbst. Zwei Stunden Irrfahrt durch dieselben Gassen, über matschige Wege, mit wachsender Frustration.
Doch im Rückblick: Es war eine dieser Pannen, die man nicht vergisst. Ich fuhr über Kolonnenplatten mitten im Wald – die ehemalige Grenze wurde zur Berg- und Talbahn. Orientierung hatte ich keine mehr. Der Track war auf dem Navi sichtbar, aber ich kam nicht dorthin – das „grüne Band“ war zugewuchert, kaum zugänglich. Ich erfuhr im Wortsinn Geschichte.
Zurück in Rieth fand ich schließlich wieder auf die Strecke. Doch die Nässe hatte sich durch alle Schichten gearbeitet, und ich hatte einfach keine Lust mehr. Es war noch früh am Nachmittag, aber ich sehnte mich nach Trockenheit, Wärme, einem sicheren Hafen für diesen Tag.
Also bog ich ab nach Bad Königshofen. Und fand im Hotel Ebner genau das, was ich brauchte: eine heiße Dusche, ein warmes Zimmer und neue Motivation für den nächsten Tag. Gute Entscheidung!

🚴 Etappe 7: Bad Königshofen – Heringen
Distanz: 98,1 km
Höhenmeter: 970 Hm
Zeit: 6:38 h

Das Wetter ist heute besser – zwar noch nicht perfekt, aber trocken. Und das allein reicht, um die Stimmung zu heben. Ich komme gut voran, finde meinen Tritt schnell und genieße die Strecke. Besonders die Rhön bleibt mir in Erinnerung: bergig, kurvig, grün – landschaftlich traumhaft, sportlich fordernd. Leider ist es zu neblig für gute Fotos. Hier möchte ich unbedingt nochmal mit dem Rennrad ohne Gepäck fahren.
Der Rückenwind tut sein Übriges. Ich hätte gern noch ein paar Kilometer drangehängt – es lief einfach richtig rund. Doch gegen Abend zieht ein dickes Gewitter auf. In Widdershausen zwingt mich der erste Blitzschlag zur Pause – ich flüchte in ein Bushäuschen und warte ab.
Nach etwa einer halben Stunde Blitz und Donner meldet sich mein innerer Schweinehund: „Komm, such dir ein Hotel!“ Drei Kilometer entfernt, in Heringen, finde ich tatsächlich noch ein Zimmer – allerdings in einer der schlimmsten Absteigen meiner Radreise. Verraucht, durchgelegene Matratzen, Einrichtung aus den 70ern. Egal. Hauptsache ein Dach über dem Kopf.
Ich bin nicht allein: Zwei Radlerpaare vom Werratal-Radweg sind ebenfalls dort abgestiegen – genau so begeistert wie ich. Immerhin ergibt sich beim Abendessen in der Pizzeria um die Ecke ein nettes Gespräch. Und als Krönung des Tages ruft mein „Schätzchen“ aus der Heimat an. Ein schöner Abschluss – trotz der miesen Unterkunft

🚴 Etappe 8: Heringen – Duderstadt (Nesselröden)
Distanz: 100,3 km
Höhenmeter: 1.094 Hm
Zeit: 7:24 h

Fast fluchtartig verlasse ich heute Morgen das Hotel in Heringen – der Zustand der Unterkunft, das lieblos zusammengestellte Frühstücksbüfett, alles war einfach miserabel. Brötchen und Kaffee gingen klar, aber der Rest war unappetitlich: Marmelade in Supermarktgläsern mit einem einzigen Löffel darin, Saft aus großen Discounterflaschen… Sogar als erfahrener Hüttenwanderer und Jakobswegpilger war ich schockiert.
Ganz anders mein heutiges Ziel: ein Hotel in Nesselröden bei Duderstadt – fast schon luxuriös und kaum teurer. Ein Kontrastprogramm, wie es im Buche steht.
Bei bestem Wetter starte ich auf dem flachen Werratal-Radweg. Die Strecke ist leicht, gut zu fahren, die Kilometer fliegen dahin. Viele Radreisende kommen mir entgegen – voll bepackt mit Front- und Backroller, Zelten, Säcken. Einige überhole ich, komme ins Gespräch. Es ist viel los auf dem Weg.
Aber ehrlich: Auf Dauer ist der Radweg entlang des Flusses eher monoton. Der Blick bleibt in der Ebene, das Treten wird zur Routine. Die einzige Herausforderung ist der Wind. Ich sehne mich nach Abwechslung, nach Höhen und Tiefen.
Die bekomme ich prompt, als ich das Werratal verlasse und ins Harzvorland einfahre. Plötzlich geht es bergauf – Rampen bis zu 14 % –, und kurz darauf rasant wieder hinab. Endlich wieder Fahrfreude pur! Genau das liebe ich am Radreisen: der Wechsel von Anstrengung und Belohnung, von Schweiß und Ausblick.
Am Abend bin ich zufrieden und spüre: Ich bin Lübeck ein gutes Stück näher gekommen. Und morgen wartet der Harz.

🚴 Etappe 9: Duderstadt – Ilsenburg (Harz)
Distanz: 111,2 km
Höhenmeter: 1.512 Hm
Zeit: 6:16 h

Den Bericht zur heutigen Etappe habe ich abends nicht mehr fertigbekommen – ich bin beim Schreiben eingeschlafen. Der Harz hat mich geschafft. Aber von vorn.
Der Tag begann angenehm flach im Harzvorland. Ich kam gut voran, konnte die weite Landschaft genießen und fühlte mich richtig wohl auf dem Rad. Aber irgendwann war Schluss mit gemütlich: Der Harz kam näher, und die Anstiege wurden länger und steiler. Es ging ordentlich zur Sache!
Lange Auffahrten, enge Waldwege, schmale Pfade – der Harz wollte mich nochmal testen. Und das tat er erfolgreich. Ich musste kämpfen, drücken, manchmal auch fluchen. Aber ich wusste: Das ist der letzte große Höhenzug vor dem Ziel. Noch einmal alles geben, dann wird’s flacher.
Oben angekommen wurde ich belohnt: mit einem tollen Blick, mit der Ruhe des Waldes, mit dem Gefühl, es geschafft zu haben. Ich fuhr müde, aber zufrieden nach Ilsenburg hinab und checkte ins Hotel ein.
Später schrieb ich ein paar Zeilen – und schlief einfach ein. Zehn Stunden tief und fest. Das sagt wohl alles über diese Etappe.

🚴 Etappe 10: Ilsenburg – Wittingen
Distanz: 177,4 km
Höhenmeter: 1.002 Hm
Zeit: 7:49 h

Heute stand eine echte Langstrecke auf dem Plan – fast 180 Kilometer. Ich bin um 7:30 Uhr gestartet und war um 17:20 Uhr in Wittingen. Es lief erstaunlich gut – keine Defekte, keine Einbrüche, einfach rollen lassen. Nach den harten Harz-Etappen war das flache Terrain eine Wohltat.
Die Strecke führte mich über gut ausgebaute Wege, vorbei an Feldern, kleinen Dörfern, immer wieder auf Kolonnenplatten und ruhigen Landstraßen. Es war kein spektakulärer Tag – aber einer dieser ruhigen, meditativen Radfahrtage, an denen man einfach nur vor sich hintreten und die Gedanken schweifen lassen kann.
Ich dachte viel nach – über die Tour, das Ziel Lübeck, über die vielen Begegnungen und Eindrücke der letzten Tage. Der Körper funktionierte, der Kopf war klar. Der Wind war gnädig, das Wetter freundlich. Mehr braucht es manchmal nicht für ein perfektes Etappenerlebnis.
In Wittingen habe ich spontan ein Zimmer bekommen. Nichts Besonderes, aber ausreichend. Ich habe gut gegessen, ein Bier getrunken und mich auf die letzte Etappe vorbereitet. Morgen will ich Lübeck erreichen – und damit das Ziel meiner Reise.

🚴 Etappe 11: Wittingen – Lübeck
Distanz: 189,6 km
Höhenmeter: 942 Hm
Zeit: 8:24 h

Ohne meinen guten Freund Christoph würde ich jetzt nicht im Zug nach Frankenberg sitzen und entspannt diesen Blogeintrag schreiben. Wohl oder übel hätte ich die Heimreise mit dem Rad antreten müssen, weil ich – naiverweise – geglaubt hatte, dass es kein Problem sei, ab Lübeck im Zug einen Fahrradstellplatz zu bekommen.
Die Überraschung kam am Vorabend im Hotel: Alle Fahrradplätze in allen Verbindungen ausgebucht! Ich war frustriert, überlegte Alternativen und rief schließlich Christoph an. Dessen Bruder wohnt zufällig in Lübeck – und wenige Minuten später hatte er organisiert, dass ich mein Sequoia dort für ein paar Tage abstellen darf. Tausend Dank an Christoph und Holger!
Und nun zur letzten Etappe: Sie war mit 190 km die längste – und obwohl ich keinen Track hatte, versuchte ich, auf direktem Weg nach Lübeck zu gelangen, möglichst ohne große Straßen. Leider klappte das nicht durchgängig: Viele Umleitungen und Baustellen zwangen mich auf stark befahrene Landstraßen. Mehrfach musste ich auf den Grünstreifen ausweichen, um LKWs passieren zu lassen – das war wirklich stressig!
Etwa fünf Stunden fuhr ich dann auf dem Elbedeich und später am Elbe-Lübeck-Kanal entlang. Eine mentale Herausforderung, aber ruhig und ohne Autoverkehr. Ich war froh um diesen Kontrast.
Die Zielankunft hatte ich mir anders vorgestellt: Ich wollte ein Foto am Ortsschild „Lübeck“ machen – eigens dafür hatte ich ein Ministativ mitgenommen. Doch der Kanalweg führte mich durch Schrebergärten direkt in die Innenstadt. Kein Ortsschild, kein Selfie. Stattdessen Feierabendverkehr und Großstadtchaos. Immerhin gelang mir an einer Ampel ein Beweisfoto: das Lübecker Holstentor.
Dank meines Navis fand ich sicher zum Hotel. Und damit war sie geschafft – die Tour entlang des Eisernen Vorhangs. Was für ein Gefühl!

🗺️ Etappenübersicht
Gesamtstrecke: 1.395 km
Gesamte Höhenmeter: 13.130 Hm
| Etappe | Strecke | Distanz | Höhenmeter |
|---|---|---|---|
| 1 | Frankenberg – Eisenach | 156,0 km | 1.483 Hm |
| 2 | Eisenach – Neustadt (Rennsteig) | 94,7 km | 1.993 Hm |
| 3 | Neustadt – Hof (Saale) | 120,1 km | 2.177 Hm |
| 4 | Hof – Bad Steben | 60,1 km | 1.099 Hm |
| 5 | Bad Steben – Eisfeld | 101,4 km | 1.548 Hm |
| 6 | Eisfeld – Bad Königshofen | 89,8 km | 482 Hm |
| 7 | Bad Königshofen – Heringen | 98,1 km | 970 Hm |
| 8 | Heringen – Duderstadt (Nesselröden) | 100,3 km | 1.094 Hm |
| 9 | Duderstadt – Ilsenburg | 111,2 km | 1.512 Hm |
| 10 | Ilsenburg – Wittingen | 177,4 km | 1.002 Hm |
| 11 | Wittingen – Lübeck | 189,6 km | 942 Hm |

🧭 Fazit
Eine Radreise mit Höhen und Tiefen – in jeder Hinsicht: sportlich fordernd, emotional berührend, landschaftlich wunderschön. Und mit einigen unerwarteten Überraschungen – im Guten wie im Schlechten. Sie hat mir gezeigt, dass man nicht alles planen kann. Und wie viel es wert ist, einen guten Freund zu Hause zu wissen, der einem in der Not zur Seite steht – auch aus der Ferne.
Ich werde diese Tour nie vergessen. Und irgendwann? Irgendwann fahre ich sie vielleicht nochmal – mit weniger Ehrgeiz. Und mit mehr Zeit zum Staunen.